Fränkische Landeszeitung, 25. November 2006
Fesselnder Theatervortrag von Frank Günther bei der „LesArt" in der Feuerbach Akademie:
Von Macht, Moral und prallem Leben. Bedeutender Shakespeare-Übersetzer durchleuchtet klug das Justizdrama „Maß für Maß"
ANSBACH – Sex und Gewalt, Gefühle, die dem Menschen jede Kontrolle rauben, zerstörerischer Neid, Liebe und Hass bis in den Tod, derbe Scherze ebenso wie geistreiche Überlegungen zu Politik und Macht: Das alles gibt es bei Shakespeare in Fülle, und das alles ist aktuell, so lange es Menschen gibt. Deshalb wird Shakespeare auf allen Bühnen der Welt so gerne gespielt. Einer, der Shakespeares Texte besonders kraftvoll, ja fast animalisch mit Leben erfüllt, in die düstersten Seelen-Tiefen eintaucht und dabei blitzgescheit alle Facetten herausarbeitet, ist Frank Günther.
Der kongeniale preisgekrönte Übersetzer und Regisseur las am Donnerstagabend im Rahmen der Literaturreihe „LesArt" in der Ansbacher Feuerbach-Akademie aus „Maß für Maß". Was heißt das? Er flüsterte als tugendhafte Nonne, polterte als tumber Wachtmeister, lechzte als geiler Herrscher, keifte, kicherte, donnerte und säuselte in den verschiedenen Rollen. Um dann gleich wieder – schwups, die Lesebrille ab – den sympathischen Dozenten zu geben, der im Plauderton Parallelen zieht: Von Shakespeares Komödie, die beinahe eine Tragödie ist, zu Machiavellis „Fürst" un den Schriften zur Politik des Soziologen Max Weber. Und flugs auch zum Abtreibungsprozess im Memmingen.
Im Mittelpunkt steht dabei die alte Frage nach dem Umgang mit Macht und mit Moral, um die es auch in dem selten gespielten, weil hochkomplexen Drama geht. Darf, ja muss der Herrschende im Einzelfall unmoralisch, böse handeln, um den Staat, das Volk, das Ganze zu schützen vor dem Bösen? Kann der Mächtige sich schuldig machen, indem er im christlichen Sinn die zweite Wange hinhält? Darf ein Dieb einen Dieb verurteilen? Wo ist die Grenze zwischen notwenigem Machtgebrauch und Tyrannei? Brandaktuell, nicht wahr? Auch hier und heute.
Solche großen Menschheits- und Gesellschaftsfragen, die Shakespeare in „Maß und Maß" hineingepackt und der Übersetzer aus dem Text herausgeschält hat, erläutert – und spielt – Frank Günther bei seiner rasanten Ein-Mann-Theater-Lesung. Die schwer philosophischen Überlegungen treiben dabei manchen Zuhörer fast so viel Schweiß auf die Stirn wie Günther die Vortragsperformance ohne Manuskript, aber mit vollem Körpereinsatz: Seine Haare fliegen wie sein rot gestreifte Schal, er fuchtelt, tigert hin und her, lümmelt sich aufs Lesepult, Brille auf, Brille ab, greift mal zu diesem Buch, dann zu jedem oder in eine verbeulte Ledertasche, sucht ein weiteres Buch darin, zeigt Gemälde aus dem 14. Jahrhundert mit Bezügen zu Recht und Gerechtigkeit, Strafe und Gnade. Zweieinhalb Stunden hält e dieses Tempo durch, plaudert klug und rezitiert nicht nur Shakespeare, sondern auch versifizierte Gesetzestexte.
Ach ja, es geht nicht nu um furchtbar schlaue Dinge, sondern auch um Verlangen, um Zuhälter und Nutten, Lust, Gier und einen Egoismus, der fast tötet. Derbe Worte fürchtet der Sprachkünstler Frank Günther nicht, weder in seinen vielgerühmten, entstaubten Übersetzungen noch in dem fesselnden Theatervortrag. Das ist Shakespeares pralles Leben.